das ist ein GNM+ ArtikelSüße neue Welt – Amsterdam wird zum Donut

von | 14. Februar, 2021

Amsterdam propagiert die radikale Abkehr von der gängigen Wirtschaftslehre hin zu einem ökologischen Denken – Symbol dafür ist ein Donut

Jeder Krise wohnt eine Chance inne – so auch der Corona-Krise. Im Frühjahr letzten Jahres, als die erste Corona-Welle wütete, verkündete die stellvertretende Amsterdamer Bürgermeisterin Marieke van Doorninck ein komplett neues Wirtschaftsmodell. Die angepeilte Kreislaufwirtschaft orientiert sich an der „Donut-Ökonomie“ der britischen Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth, die auch als Beraterin der niederländischen Hauptstadt fungiert.

Eine kleine Wirtschaftsrevolution …

Die Corona-Pandemie hat die Welt, hat Europa, hat Deutschland und hat auch die Niederlande in eine Wirtschaftskrise gestürzt. Immer neue Lockdowns schaden der Ökonomie immens – in Deutschland spricht man zwischenzeitlich vom stärksten Konjunktureinbruch seit der globalen Finanzkrise von 2009. Das Land verzeichnete erstmals seit 2011 wieder ein Haushaltsdefizit, das Steuereinkommen verringerte sich. Auf der anderen Seite versucht die deutsche Regierung, die Löcher durch milliardenschwere Hilfspakete zu stopfen und die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Während die größte europäische Volkswirtschaft mit staatlichen Subventionen betroffene Branchen zu retten versucht, überlegt man bei den Nachbarn in Amsterdam, das Wirtschaftssystem grundlegend zu revolutionieren. Und das mit dem beruhigenden Wissen, dass sich sehr viele Amsterdamer ein neues Wirtschaftsmodell wünschen – und zwar eines, das den Planeten schont!

Amsterdam goes Donut

‚Duurzamheid’, also Nachhaltigkeit, liegt den Amsterdamern nicht erst seit gestern am Herzen. Private Initiativen wie ‚Müllfischen’ auf Amstel und Grachten, der kleine Windenergiepark in Amsterdam-Nord, ‚Lebensmittel retten’ oder Rooftop-Gemüsegärten existieren schon lange. Doch auch auf städtischer Ebene tut sich was: Bereits 2015 stellte der Gemeinderat die erste „Agenda für nachhaltige Energie, saubere Luft, eine Kreislaufwirtschaft und eine klimasichere Stadt“ vor. Darin heißt es: „Für jeden Transformationsprozess ist ‚Umdenken’ essenziell: um zu neuen Produktions-, Verbrauchs- und Verteilungswegen zu gelangen – mit dem Ziel, nachhhaltiger zu werden.“ Die Neuordnung nach der sogenannten Donut-Theorie der britischen Oxford-Ökonomin Kate Raworth beinhaltet, dass die Wirtschaft nachhaltiger für Menschen und Umwelt sein wird. Denn die von ihr propagierte Circle Economy stellt soziale und ökologische Aspekte in den Mittelpunkt.

Vision von einer besseren Welt

In ihrer Theorie betrachtet Raworth die Welt als Donut:

„Wie wäre es, wenn wir nicht die etablierten, althergebrachten Theorien an den Anfang der Ökonomie stellen, sondern stattdessen die langfristigen Ziele der Menschheit, und versuchten, ein ökonomisches Denken zu entwickeln, das uns in die Lage versetzt, diese Ziele zu erreichen? Ich machte mich daran, ein Bild dieser Ziele zu zeichnen, das schließlich, so verrückt es klingen mag, wie ein Donut aussah …“

Was bedeutet dieses Bild konkret? Das Loch in der Gebäckmitte symbolisiert das gesellschaftliche Fundament, hier herrschen unhaltbare Zustände. Den Menschen mangelt es unter anderem an Nahrung, Wohnraum und Bildung, und oft ist ihr Leben von schlechten Arbeitsbedingungen geprägt. Das Zuckerwerk selbst steht für die stark begrenzten Ressourcenkapazitäten unseres Planeten. Stichpunkte in diesem Zusammenhang sind der Klimawandel, verschmutzte Ozeane, eine schwindende Biodiversität. Zuletzt der alles umschließende Zuckerguss, den Raworth auch als „sweet spot“ bezeichnet: Er symbolisiert Wirtschaft, Politik und Ökologie – im harmonischen Einklang miteinander. Amsterdam lebt laut Raworth derzeit außerhalb der bunten Glasur und somit über seine Verhältnisse. In der niederländischen Metropole werden mehr Ressourcen verbraucht und Emissionen ausgestoßen als der Planet bieten kann, eine Zerstörung der Welt scheint unausweichlich.

Dauermaximierung ade!

Ein steigendes Bruttoinlandsprodukt (BIP), so Raworth, sage weder etwas über den Wohlstand in einer Volkswirtschaft aus noch spiegele es wider, welchen gesellschaftlichen Mehrwert geleistete Arbeit, beispielsweise von Lehrkräften oder Pflegepersonal, habe. Daher propagiert sie etwa den Umbau der Finanzwirtschaft, will weg vom ewigen Maximierungsgedanken und hin zu einem an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen ausgerichteten Wirtschaftswachstum. Raworth ist überzeugt: „Ständiger Konsum schadet unserem Planeten!“ Genau hier setze die Stadt Amsterdam an, so die stellvertretende Bürgermeisterin Van Doorninck. Die niederländische Hauptstadt möchte auf den „sweet spot“ aufspringen, Ökologie, Politik und Ökonomie in ihrer Stadt ins Gleichgewicht setzen. Daher lautet die Strategie: Recyceln, Reparieren und Teilen statt Besitzen. Man will weg von ewiger Neuproduktion und vom alles beherrschenden Konsumgedanken, möchte vielmehr Ressourcen schonen. Zum Schutz der Umwelt und für künftige Generationen.

Konkrete Forderungen

„Niemand will in einer Wegwerfgesellschaft leben. Aber das bedeutet eben auch, dass wir unsere Wirtschaft fundamental anders betrachten müssen: die Art und Weise, wie wir konsumieren, produzieren und verarbeiten. Wenn wir Materialien und Rohstoffe hochwertig verarbeiten, können wir verhindern, dass sie auf dem Müll landen. Außerdem müssen wir Sachen teilen und sie reparieren (…).  So können wir die Rohstoffe erhalten, die so wichtig für uns sind, und reduzieren außerdem unseren Energieverbrauch“, ist sich Marieke van Doorninck sicher.

Um dies zu erreichen, fordert die Stadt Amsterdam beispielsweise die Einführung einer landesweiten Steuerreform. Diese beinhaltet unter anderem, die Nutzung von Rohstoffen höher zu versteuern. Gleichzeitig sollen die Erwerbstätigen in den Niederlanden niedrigere Steuern zahlen – der Preis eines Produktes würde als nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die ökologischen Kosten abdecken.

Die nächsten Schritte

Die Stadt hat ihre Ziele hochgesteckt: Bis 2030 will sie den Verbrauch neuer Ressourcen halbieren, im Jahr 2050 möchte Amsterdam sich ‚zirkuläre Stadt’ nennen können. Bislang steht die Agenda bis 2025. Wie genau die neue Wirtschaft der Donut-Stadt Amsterdam aussehen wird, darauf gibt es allerdings noch keine abschließenden Antworten – wohl aber zahlreiche Ideen. Ein städtisches Abfallvermeidungsprogramm ist unerlässlich, generell müssen aber auch Bürgerinnen und Bürger zur Müllvermeidung beitragen. Bauunternehmen sollen nur noch nachhaltige und/oder zirkuläre Materialien einsetzen, die Gemeinde soll so viele gebrauchte Produkte recyceln und einkaufen wie möglich. Desweiteren sieht die Amsterdamer Strategie vor, Arbeitsplätze vor Ort zu fördern – erteilt also einer globalisierten Lieferkette eine eindeutige Absage.

Nachhaltige Konsummuster, soziale Innovationen

Der Verschwendung von Lebensmitteln soll ein Riegel vorgeschoben werden – jährlich werden in den Niederlanden 41 Kilo noch genießbare Lebensmittel pro Person weggeworfen. Die Stadt plant, bestimmte Branchen wie Hotels dabei genau im Auge zu behalten, fordert aber auch jeden einzelnen auf, keine Lebensmittel zu verschwenden. Überflüssige Lebensmittel sollen an notleidende Amsterdamer gehen und nicht einfach entsorgt werden. Mehr als drei Viertel der Amsterdamer sind laut Statistik bereit, zum Nutzen der Umwelt weniger Kleidung zu kaufen. Innerhalb von nur drei Jahren soll eine gut entwickelte und einfach zu erreichende Infrastruktur von Tauschplattformen und Recycling-Börsen, Secondhand- und Re-Use-Läden, Online-Marktplätzen und Reparaturdiensten entstehen.

„So wird Reparieren günstiger und das Anschaffen von neuen Produkten teurer. Darüber hinaus schaffen wir dadurch auch mehr Jobs in der Fertigung.“

Marieke van Dorninck, stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Amsterdam

Amsterdam Donut 2050: Zu engagiert?

Bis zum Jahr 2050 eine vollständige Kreislaufwirtschaft etabliert zu haben, halten viele Wirtschaftsexperten für illusorisch, für zu engagiert. Auch weil das aktuelle niederländische Wirtschaftsmodell wenig nachhaltig ist. Doch Amsterdam gibt sich kämpferisch – und wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Die Gemeinde hat sich bereits mit mehr als 200 Betrieben, Institutionen und Initiativen vernetzt, die an einer Circle Economy mitarbeiten wollen. Bei einem der städtischen Pilotprojekte ist beispielsweise die Farbenindustrie involviert: Ausrangierte Latexfarbe soll gesammelt und wieder verkaufsfertig gemacht werden. In einem anderen Projekt wird Zement receycelt, dessen Herstellung nämlich extrem viel CO2 freisetzt, bei wieder einem anderen ist im Norden Amsterdams eine ‚Stadt’ aus energieautarken Hausbooten entstanden. Mehrere Modelabel interessieren sich für das Kreislaufmodell, Urban Gardening und Landwirtschaft in der City sind in wie nie. Im Norden der Metropole, in Buiksloterham, entsteht gerade das erste zirkuläre Stadtviertel Amsterdams. Und und und  – die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Vorzeigestadt Amsterdam

„Amsterdam ist die Vorzeigestadt bei diesem Thema. Eine Strategie ist geduldig. Man kann sie einfach aufschreiben. Aber in Amsterdam sind Strukturen dahinter, um das auch umsetzen zu können“, attestiert Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie der niederländischen Hauptstadt. Und einen Nachmacheffekt hat Amsterdams Donut auch: Zwischenzeitlich kündigten Städte wie Kopenhagen, Philadelphia und Portland an, die Donut-Strategie ganz oben auf ihre Agenda setzen zu wollen. Zum Wohl von Mensch, Umwelt und Planet!

Beitragsbild: Elena Koycheva / Unsplash
Bilder im Text: Anne Winterling

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Susanne Voeller

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